Mensch und Umwelt


Bericht über das Symposium

Die Chancen und Grenzen einer interinstitutionellen Zusammenarbeit bei der Generierung und Vermittlung umwelthistorischer Fragestellungen waren Thema einer Tagung, die vom 21. bis 22. Juni 2012 an der Universität Osnabrück stattfand. Das "Symposium zur Umweltgeschichte des ländlichen Raumes in Wissenschaft, Museum und Schule" bildete die Abschlussveranstaltung des vom Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vom 1. Juli 2009 bis zum 30. Juni 2012 geförderten Projektes "Mensch und Umwelt - Pilotprojekt zur Verknüpfung von Forschung, museologischer Dokumentation und Didaktik". Das Projekt hat die drei Bildungsinstitutionen Universität, Museum und Schule einander über umweltgeschichtliche Fragestellungen näher gebracht und Strukturen für eine stärkere Vernetzung entwickelt, erprobt und dokumentiert. Fünf Partner waren an dem Projekt beteiligt: Das Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück (Siegrid Westphal), der Lehrstuhl Geschichtsdidaktik der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg (Dietmar von Reeken), das Niedersächsische Freilichtmuseum - Museumsdorf Cloppenburg (Uwe Meiners) sowie die beiden weiterführenden Schulen IGS Helene-Lange-Schule Oldenburg und Liebfrauenschule Cloppenburg.

Eine sinnvolle Vernetzung von Universität, Museum und Schule kann sich über ein raum- und nicht ressourcenbezogenes Verständnis von Umweltgeschichte und den Zusammenhang von Umweltgeschichte, Umweltbildung und Raum ergeben, so die dem Symposium zugrunde liegende These. Insbesondere der "ländliche Raum" mit seinen naturräumlichen Spezifika und Landnutzungssystemen bildet als Forschungsobjekt und Ausgangspunkt der Vermittlung eine geeignete "Klammer" für die Kooperation der drei Institutionen.

Während der zweitägigen Tagung berichteten (Nachwuchs-)Wissenschaftler/innen, Museumsmitarbeiter/innen und Lehrer/innen verschiedener Fachrichtungen aus Forschung und Praxis. Zur Einführung in die Thematik gaben drei Impulsreferate einen Überblick zu Stand und Entwicklungsmöglichkeiten der Umweltgeschichte in Wissenschaft (MANFRED JAKUBOWSKI-TIESSEN, Göttingen), Museum (NINA MÖLLERS, München) und Schule (BERND GREWE, Freiburg). In allen drei Bildungsorten, so der Tenor der Referate und der anschließenden gemeinsamen Diskussion, mangele es der Umweltgeschichte an einer Institutionalisierung, wobei die Interdisziplinarität der Umweltgeschichte als Hemmnis erkannt wurde. An den Universitäten und den Schulen würde nur in der Überwindung von Fächergrenzen eine Implementierung erfolgen können, so Manfred Jakubowski-Tiessen und Bernd Grewe. Nina Möllers bestätigte diese Einschätzung aus Sicht der Museen, wo aufgrund der tradierten Kategorisierung in Technik-, Naturkunde oder Geschichtsmuseen eine Verortung der Umweltgeschichte erschwert sei.

Die drei Sektionen des Symposiums waren inhaltlich und fachübergreifend mit der Zielsetzung einer interdisziplinären Betrachtung der Sektionsthemen Umweltabhängigkeiten, Umweltgestaltung und Umweltbildung strukturiert. Pluralistische Ansätze, Methoden und Positionen prägten dementsprechend die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Schwerpunktthemen Landnutzung und Landschaft sowie der Vermittlung umweltgeschichtlicher Themen in Schule und Museum.

Gegenstand der ersten Sektion waren die Strukturen und Wandlungsprozesse vormoderner Agrarökosysteme, wobei Flächenlimitierung und Ressourcenlage als die bestimmenden Faktoren von landwirtschaftlicher Praxis und Konsum im Fokus standen. Der Beitrag von FRIDOLIN KRAUSMANN (Wien) verfolgte die sozialökologische Transition der Landwirtschaft im Zuge der Industrialisierung am Beispiel österreichischer Agrarsysteme. Den Prozess der Industrialisierung stellte er als sozial-ökologischen Regimewechsel dar, im Zuge dessen das auf lokalen Nährstoffkreisläufen beruhende Energiesystem der Gesellschaft stufenweise von der Fläche entkoppelt wurde. Sei die Landwirtschaft vor der Industrialisierung noch dem solaren Energiesystem verhaftet gewesen, so seien durch Mechanisierung und den Einsatz von Agrochemie eine Intensivierung der Flächennutzung und eine Ertragssteigerung erzielt worden.

Auch ANNIKA SCHMITT (Osnabrück) befasste sich mit der vormodernen Landwirtschaft und stellte in ihrem Vortrag aus dem Kontext ihres Dissertationsprojektes eine Mark- die Oldendorfer Mark im ehemaligen Hochstift Osnabrück - als individuell bewirtschaftetes Agrarökosystem in den Mittelpunkt der Untersuchung. Das Landnutzungssystem der Marken habe eine Vielzahl von rechtlichen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Reglementierungen ausgezeichnet, die auf eine nachhaltige Naturnutzung zielten.

Die Abhängigkeiten zwischen Ressourcenlage und Konsumverhalten im Baltikum untersuchte ULRIKE PLATH (Tallin). Der ungezügelte Nahrungsmittelkonsum in allen Schichten sei erst durch Polizeiordnungen und sozialdisziplinierende Verordnungen gezügelt worden und veränderte das Konsumverhalten in Hinblick auf die Verwendung von Nahrungsmittelsurrogaten.

HEIKE DÜSELDER (Osnabrück/Cloppenburg/Lüneburg), UWE MEINERS (Cloppenburg) und KERSTIN WAGENER (Wolfenbüttel) stellten gemeinsam Idee, Konzept und Umsetzung der im Rahmen des Projektes "Mensch und Umwelt" für 2013 geplanten umwelthistorischen Dauerausstellung im Niedersächsischen Freilichtmuseum - Museumsdorf Cloppenburg vor. Die Institution des Freilichtmuseums und die in ihm vorhandenen Strukturen - Gebäude und Landschaftselemente - böten die einzigartige Chance, den Besuchern die Veränderungen von Landschaft durch anthropogene Eingriffe und ein Bewusstsein für die Entstehung und Bedeutung historischer Kulturlandschaften zu vermitteln. Das Verhältnis von statischen und dynamischen Faktoren innerhalb vormoderner Agrarökosysteme sowie die Vermittlung von historischen Strukturen und Prozessen an Museumsbesucher war Gegenstand der allgemeinen Diskussionen. Dabei wurde die Notwendigkeit betont, vormoderne Landnutzungssysteme in ihrer Dynamik zu erfassen, zu dokumentieren und nach Möglichkeiten zu suchen, Besuchern einer Ausstellung diese Dynamik entdecken und erfahren zu lassen.

Die Ausgestaltung von Kulturlandschaften durch den Menschen und ihrer Entschlüsselung aus wissenschaftlicher, didaktischer und museologischer Perspektive waren Schwerpunkt der zweiten Sektion. "Was ist Landschaft?" fragte HANSJÖRG KÜSTER (Hannover) und unterschied zwischen einer "materiellen" und einer "immateriellen" Komponente von Landschaft. Als "materielles Erbe" bezeichnete er die durch die Wechselwirkung von Natur und Kultur entstandene sichtbare Kulturlandschaft. Dem gegenüber stellte er die Landschaft als immaterielles Kulturerbe, das aus den der Gestaltung zu Grunde liegenden Ideen und Wahrnehmungen bestehe. Letztere müssten bei der Betrachtung und Entschlüsselung von Landschaft eine ebenso große Rolle spielen wie ihre natürlichen Elemente.

WERNER RÖSENER (Gießen) referierte über die Entwicklung der nordwestdeutschen Kulturlandschaft vom frühen Mittelalter bis zur Moderne aus agrarhistorischer Perspektive. Die Kulturlandschaft habe sich aufgrund einer Bevölkerungszunahme und der damit verbundenen Bodenintensivierung (Eschwirtschaft, Roggenanbau, Plaggendüngung) zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert massiv verändert. Rösener nannte drei Faktoren, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts erneut grundlegende Veränderungen der Kulturlandschaft hervorriefen: Die Grundablösung der Bauern, die Privatisierung der genossenschaftlichen Nutzung sowie Verkopplung und Flurbereinigung.

Mit der Entschlüsselung und Wahrnehmung von Kulturlandschaften und der Frage, wie die Fähigkeit und das Interesse junger Menschen gefördert werden können, historische Kulturlandschaftselemente zu identifizieren und sich ihren Wandel zu erschließen, befasste sich GERHARD HENKE-BOCKSCHATZ (Frankfurt am Main). Gerade die Schulung der Wahrnehmungskompetenz anhand von "aufschließenden Elementen", aber auch des Umgangs mit schriftlichen Quellen als Voraussetzung für forschend-entdeckende Lernprozesse befähigten die Schüler zum Entschlüsseln von Kulturlandschaften und förderten die angestrebte Nachhaltigkeit des Lernens.

HEIKE DÜSELDER (Osnabrück/Cloppenburg/Lüneburg) fokussierte sich auf die umwelthistorischen Bedeutungsebenen - die sie Mikrogeschichten nennt - und Historizität von Objekten im Museum. Am Beispiel des im Museumsdorfs Cloppenburg ausgestellten Tiefpflugs, dessen Bedeutung als Instrument der Moorkultivierung und damit der massiven Eingriffe in die Natur sich dem Besucher nicht sofort erschließe, erklärte sie, wie über die Entschlüsselung der Mikrogeschichte das Objekt seine Bedeutung für eine bestimmte Entwicklung und Fragestellung zurück erlange. Das quasi funktions- und bewegungslos gewordene Museumsobjekt werde in seinen Kontext gerückt und diene dazu, dem Besucher langfristige Prozesse und Zusammenhänge zu erklären.

Die Diskussionen befassten sich mit den natürlichen und "immateriellen" Elementen von Kulturlandschaften einerseits und den Möglichkeiten ihrer Entschlüsselung (Kompetenzen, Objekte) auf der anderen Seite. Insbesondere die Schulung der Wahrnehmungskompetenz von Museumsbesuchern und Schülern wurde dafür als bedeutsam herausgestellt, aber auch auf den Erklärungsbedarf der Objekte durch Dritte (Führungspersonal, Lehrer, Multimediaanwendungen) verwiesen.

Die Rolle und das Potential der Umweltgeschichte im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung hinterfragte die dritte Sektion. VERENA WINIWARTER (Wien) sah die besondere Bedeutung der Umweltgeschichte in der Erforschung der Interaktion von Gesellschaft und Natur und ihr Potential in der Vermittlung von Langzeit- und Nebenwirkungen. Die Kraft der erzählten Geschichte sei die Basis des Lernens, doch müssten Schüler/innen als Forscher/innen im Rahmen forschend-entdeckender Lernprozesse einbezogen werden. Die Umweltgeschichte sei somit eine wichtige Möglichkeit der Umsetzung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung, deren Potential noch keineswegs ausgeschöpft sei.

In zwei Vorträgen der Sektion wurden Schüler- und Lehrervorstellungen zur Umweltgeschichte einander gegenübergestellt. INDRE DÖPCKE (Oldenburg) zielte mit ihrem Vortrag aus dem Kontext ihres Dissertationsprojektes darauf, anhand der fachlich-fachdidaktischen Positionen zum Thema "Umweltgeschichte unterrichten" und der Vorstellungen praktizierender Lehrpersonen, neue Leitlinien für die Dimension Umweltgeschichte für den Geschichtsunterricht aufzuzeigen. Als solche benannte sie die stärkere Berücksichtigung der Umweltgeschichte in der Lehrerausbildung, das Vorleben der Interdisziplinarität z.B. durch das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung und die Festlegung der Lernziele von Umweltgeschichte für den Geschichtsunterricht.

BRITTA WEHEN (Oldenburg) stellte die Ergebnisse der Evaluation vor, die im Rahmen des Projektes "Mensch und Umwelt" zu den Schülervorstellungen über die Geschichte der Umwelt und dem Mensch-Umwelt-Verhältnis in der Vergangenheit erstellt wurde. Die überwiegend klischeehafte Einschätzung der Schüler eines idealisierten Mensch-Natur-Verhältnisses sei nur langsam mithilfe von Unterrichtseinheiten und Projektveranstaltungen aufzubrechen. Die Behandlung lokaler Themen, das Nachdenken über eigene Lebensgewohnheiten und Vergleiche zwischen der Vergangenheit und Gegenwart nannte sie als erfolgversprechende Unterrichtsansätze.

Die Möglichkeiten der Behandlung umweltgeschichtlicher Themen zeigten DANIELA BRÜSSE-HAUSTEIN (Haren/Ems) und JOACHIM BIERMANN (Bersenbrück) überblicksartig anhand der aktuellen Curricula der Sekundarstufen eins und zwei auf. Zwar bilde die Umweltgeschichte eine der Dimensionen der Geschichte, die Umsetzung sei jedoch im regulären Unterricht mit bestimmten vorgegebenen Inhalten (z.B. Wassernutzung im alten Rom) zu verknüpfen. Die Verankerung in den Projektwochen und Wahlpflichtkursen sei einfacher zu bewerkstelligen und diese Form der Vermittlung führe zu einem nachhaltigeren Lernergebnis. Kompetenzorientierten Unterricht und forschend-entdeckendes Lernen stellten beide als bedeutsam für den Lernerfolg heraus.

Das Konzept des forschend-entdeckenden Lernens mit lokalem Bezug wurde in der Diskussion dem des globalen Lernens gegenübergestellt. Zur diskussionsleitenden Frage, wie Schülern umweltgeschichtliche Themenstellungen näher gebracht werden können, wurde die Nähe zur Lebenswelt der Schüler sowie das Anknüpfen an deren Vorstellungen als sinnvoller Vermittlungsansatz herausgestellt.

Das Symposium endete mit einer Podiumsdiskussion, die die strukturellen Erfordernisse für eine Institutionalisierung und Implementierung der Umweltgeschichte in den drei Bildungsinstitutionen Universität, Museum und Schule erörterte und das Potential der im Projekt "Mensch und Umwelt" erprobten interinstitutionellen Vernetzung prüfte. Es diskutierten: CAROLA BECKER (Oldenburg), ADRIAN DE JONG, (Amsterdam), BÄRBEL KUHN (Siegen), WERNER TROSSBACH (Kassel), Schulleiter ANDREAS WEBER (Cloppenburg) und VERENA WINIWARTER (Wien).

Die Entwicklungsmöglichkeiten der Umweltgeschichte - so die Kernaussage der Diskussion - lägen in der institutionen- und fächerübergreifenden Kooperation. Dabei seien kreative Vermittlungsansätze gefragt, etwa durch die Realisierung besonderer Aktionen im Museum, wie sie auch im Rahmen des Projektes "Mensch und Umwelt" im Freilichtmuseum - Museumsdorf Cloppenburg verwirklicht wurden (z.B. das Pflanzen von Obstbäumen alter Obstsorten). Strukturelle Umgestaltungen wurden in Bezug auf die Schulen empfohlen und insbesondere die Rolle der Lehrer zur Verankerung umwelthistorischer Themen in die Lehrpläne hervorgehoben, aber auch auf die Bedeutung der schulischen Politik als Ausgangspunkt hingewiesen.

Schulleiter Andreas Weber zog aus Sicht der Schule ein positives Resümee der Zusammenarbeit und auch die Diskussion und der Austausch zwischen den Disziplinen auf dem Symposium erwiesen sich als fruchtbar. Insbesondere aus der Sicht von Museum und Schule kristallisierten sich vergleichbare Methoden der Vermittlung - das forschend-entdeckende Lernen in Verbindung mit einem narrativen Ansatz - heraus, wobei die Schulung der Wahrnehmungskompetenz bei Schülern und Museumsbesuchern mehrfach als bedeutsam herausgestellt wurde. Das besondere Vermittlungspotential der Umweltgeschichte wurde in der Interdisziplinarität, der Langzeitbeobachtung und der verknüpfenden Beobachtung einer Vielzahl von Rahmenbedingungen gesehen. Es wurde auch deutlich, dass gerade die auf einen speziellen Raum bezogene Umweltgeschichte eine ganzheitliche Betrachtung der Umweltgestaltung und -veränderung durch den Menschen ermöglicht. Der ländliche Raum als verbindendes Element der drei Bildungsinstitutionen garantiert die für selbstständige Lernprozesse wichtige Nähe zum Untersuchungsobjekt. Die explizit räumliche Dimension des Konzeptes einer "Umweltgeschichte des ländlichen Raumes" bedarf jedoch noch einer Spezifizierung in Hinblick auf allgemeine Strukturmerkmale sowie Kriterien der Differenzierung bzw. Überschneidungen der Räume, wie sie durch Bodennutzungs- und Viehwirtschaftsysteme oder Ausbreitungsvorgänge von Kulturpflanzen vorgegeben sein können. Der Blick auf die der Umweltgeschichte benachbarten geographischen Teildisziplinen der Agrargeographie sowie der Geographie des ländlichen Raumes kann dafür Anregungen geben.

(von Annika Schmitt [aschmitt(at)uos.de], M.A., Universität Osnabrück)